Als Reichspogromnacht wird die Nacht der nationalsozialistischen Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung vom 9. auf den 10. November 1938 bezeichnet. Die aufgrund der zerstörten Schaufensterscheiben bald als »Reichskristallnacht« bekannt gewordenen Ausschreitungen waren bis dahin der Höhepunkt eines staatlichen Antisemitismus, der mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begonnen hatte (siehe Nationalsozialismus).
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten jüdische Synagogen in ganz Deutschland. Angehörige von Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) zertrümmerten die Schaufenster jüdischer Geschäfte, demolierten die Wohnungen jüdischer Bürger und mißhandelten ihre Bewohner. 91 Tote, 2.676 zerstörte Gottes- und Gemeindehäuser und 7.500 verwüstete Geschäfte – das war die »offizielle« Bilanz des Terrors. Die Weisung zu dem Pogrom war von München ausgegangen, wo sich die Führung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) zum Gedenken an den 15. Jahrestag des Hitler-Putsches versammelt hatte.
Als Vorwand des von ihnen als angeblich spontanen Akt des »Volkszorns« bezeichneten Terrors nutzten die Nationalsozialisten die Ermordung des Legationssekretärs an der deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, durch den erst siebzehnjährigen Herschel Grynszpan. Er wollte so auf die Abschiebung von 17.000 polnischen Juden, zu denen auch seine Eltern zählten, nach Polen aufmerksam machen. Im Verlauf der Pogrome wurden mehr als 30.000 Juden von der Gestapo und der SS inhaftiert und in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Die meisten kamen erst frei, nach dem sie sich zur Auswanderung bereit erklärt hatten.
Die Reaktionen der Bevölkerung während des Pogroms waren zumeist von eingeschüchterter Reserviertheit und einem schockierten Schweigen geprägt. Nur wenige Menschen, die nicht der SA oder SS angehörten, beteiligten sich aktiv an den Zerstörungen und den Brandschatzungen, auch nur wenige allerdings halfen ihren jüdischen Nachbarn.
Die sogenannte Reichskristallnacht bezeichnet auch den Übergang zur intensiven Vertreibung der Juden ins Ausland. Nach dem öffentlichen Novemberpogrom 1938 erhielt die Verfolgung einen neuen Charakter: Deutschland sollte »judenfrei« werden. Es ergingen außerdem zahlreiche Verordnungen über eine »Sühneleistung« der Juden in Höhe von 1 Mrd. Reichsmark, über die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, die Schließung aller jüdischen Geschäfts- und Handwerksbetriebe, das Verbot des Besuchs von Theatern, Konzerten und Kinos, den Ausschluß der jüdischen Kinder von öffentlichen Schulen und der jüdischen Studenten von Hochschulen, die Einschränkung der öffentlichen Fürsorge, des Wohnrechts und der Bewegungsfreiheit, den Einzug der Führerscheine, den Zwangsverkauf jüdischen Eigentums an Grundstücken, Gebäuden, Geschäften und Produktionsmitteln sowie die Beschränkung der Verfügungsrechte über Wertpapiere, Kunst- und weitere Wertgegenstände, Berufsverbote für jüdische Hebammen, Zahn- und Tierärzte u.a. Heilberufe.
Am 26. August 1938 wurde in Wien die »Jüdische Zentralstelle für Auswanderung« unter Adolf Eichmann eingerichtet, am 24. Januar 1939 die »Reichszentrale für jüdische Auswanderung« unter Leitung von Reinhard Heydrich gegründet. Die Judenfrage sollte auf Grund eines Befehls von Göring durch »Auswanderung oder Evakuierung« gelöst werden. Schließlich begann mit Ausbruch des 2. Weltkriegs die systematische Ghettoisierung, Deportierung und »stille« Vernichtung der europäischen Juden.