Jene Kirche in Konstantinopel, die ursprünglich wegen ihrer – im Vergleich zu allen anderen christlichen Gotteshäusern der damaligen Zeit – gewaltigen Größe einfach als die »Große Kirche« bezeichnet worden war, erhielt später den Namen, unter dem sie heute weltweit bekannt ist: »Hagia Sophia« oder »Heilige Weisheit«, womit Christus, die zweite Person der Göttlichen Dreieinigkeit (siehe Trinität) gemeint ist.
Es war Kaiser Justinian, der den grandiosen Plan zu einem völligen Neubau der Großen Kirche von den Fundamenten an fasste. Die Bauarbeiten dauerten fünf Jahre (532-537) und am 27. Dezember 537 konnte Patriarch Menas die wunderbar gelungene Kirche einweihen. In der Hagia Sophia haben ihre Architekten Anthemios von Trallos (gest. 534) und Isidoros von Milet einen der gewaltigsten und beeindruckendsten Innenräume der gesamten Architekturgeschichte geschaffen.
Die Hagia Sophia gehört zu einem Übergangstypus der Kuppelbasilika (siehe Basilika). Ihr herausragendstes Merkmal ist die von vier massiven Eckpfeilern getragene Kuppel, von denen jeder an der Basis etwa 100 Quadratmeter misst. Die darauf ruhende gewaltige Kuppel wird von vier einbögigen Fenster durchbrochen. So können Ströme von Licht in den Raum der Kirche einfließen und ihn ganz erleuchten, wodurch die Massen des Baus gleichsam aufgelöst werden und der Eindruck eines unendlichen Raumes entsteht. Zwölf große Fenster, die in zwei Reihen angeordnet sind, und zwar sieben in der unteren und fünf in der oberen, gliedern das Tympanon der nördlichen und südlichen Bögen über den gewölbten Kolonnaden der Schiffe und der Galerien.
Die Kirche mißt 77 x 79 m und die sich bis zu einer Höhe 62 m über dem Boden der Kirche erhebende Kuppel hat einen Durchmesser von 33 m. Das Schiff ist 38,07 m breit und damit mehr als zweimal so breit wie die Seitenschiffe, die je 18,29 m zählen. Durch eine Reihe von baulichen Auflockerungen gelingt es, den Eindruck zu erwecken, dass die Masse der tragenden Eckpfeiler hinter Arkaden, Tympana, Bögen und Galerien verschwindet. So wird die tragende Konstruktion vor dem Auge verborgen, und es entsteht der Eindruck, als ob der Raum in alle Richtungen sich weiter ausbreite und die Kuppel gleichsam in der Luft schwebe.
Schriftliche Quellen nennen die Zahl der Geistlichen, die zum Dienst an der Großen Kirche in Konstantinopel bestellt worden waren. Diese Verzeichnisse führen eine Gesamtzahl von 600 Personen an, die in byzantinischen Zeiten an der Hagia Sophia Dienst taten: 80 Priester, 150 Diakone, 40 Diakonissen, 60 Unterdiakone, 160 Leser, 25 Sänger und 75 Türhüter.
Die große Zeit der Kirche fand aber ein abruptes, schockierendes Ende im Jahre 1204, als Konstantinopel durch die »lateinischen« (römisch-katholischen) Kreuzfahrer geplündert und teilweise zerstört wurde; auch im weiteren 13. Jahrhundert hatte die Große Kirche zahlreiche Widrigkeiten zu ertragen. Das von den Türken schon länger bedrängte und ausgeplünderte Byzantinische Reich war praktisch auf die Stadt Konstantinopel zurückgedrängt worden. Am 29. Mai 1453, drang der türkische Sultan Mehmed II. Fatih (der Eroberer) in die besiegte und verlassene Hauptstadt ein und ritt zur Hagia Sophia. Beeindruckt von ihrer Schönheit, beschloss er, die Kathedrale in seine kaiserliche Moschee umzuwandeln. So lebten die Kunst und Architektur des untergegangenen Reiches in neuer Form noch lange weiter, denn die Hagia Sophia wurde zum Vorbild für die neuen Moscheen von Konstantinopel.