Gottesstaat


CC-BY  reliLex Nachschlagen

»Gottesstaat« ist die Bezeichnung für eine Staatsform, in der Religion, Gesetz und staatliche Herrschaft eine Einheit bilden. Der Begriff des Gottesstaates ist mit dem der siehe Theokratie (»Gottesherrschaft«) identisch. Die Idee einer unter Gottes Führung stehenden staatlichen Ordnung – einer Verbindung von Staat (civitas), Kirche (sacerdotium) und Reich (regnum) – wurde von christlicher Seite schon vom heiligen siehe Augustinus (354-430 n.Chr.), dem großen Kirchenvater der Antike, in seinem Werk »De Civitate Dei« (»Die Stadt Gottes«) entworfen und ausformuliert. Sie fand später im siehe Papsttum ihre Widerspiegelung, wenngleich sich dieses nicht explizit auf die augustinische Konzeption beruft. Auch im Protestantismus gab es Versuche, eine theokratische Ordnung zu begründen.

Mehr als im Christentum ist die Vorstellung einer theokratischen Ordnung vor allem im Islam gegenwärtig, der die untrennbare Einheit von weltlicher und geistlicher Macht vertritt. Allerdings vermochte sich eine theokratische Staatsform auch im Bereich des Islam nirgendwo nachhaltig realisieren. Im 20. Jh. griffen fundamentalistische Politiker in islamischen Ländern die Idee einer auf dem Qur’ân (Koran) und der Sharî’a (siehe Scharia), dem islamischen Recht, fußenden Gesellschaftsordnung erneut auf (etwa in Saudi-Arabien, Libyen, Sudan, Pakistan, Iran [siehe Khomeini] und Afghanistan [siehe Taliban]), ohne aber durchgängig verwirklicht werden zu können.

Nicht theokratisch im eigentlichen Sinne ist der buddhistische siehe Lamaismus, wenngleich er – zumindest der Theorie nach – über ein hierokratisches Herrschaftsmodell verfügt (Hierokratie = Priesterherrschaft). Zwar ist (resp. war bis 1959) der Dalai Lama (siehe Dalai-Lama) das weltliche Oberhaupt und die höchste spirituelle Autorität Tibets, doch steht er nur der Gelugpa-Schule des Vajrayâna (siehe Vajrayana) und somit nicht allen übrigen Richtungen des tibetischen Buddhismus vor. (Der Begriff des »Gottesstaates« lässt sich auf den Buddhismus Tibets ohnehin nicht anwenden, da der Buddhismus eine Religion ohne Gott ist und ihm die Vorstellung einer überirdisch legitimierten Herrschaft generell fremd ist.)