Gemeint ist die Vision der Bahai von der Einheit der Menschheit.
Die Einheit der Menschheit umschließt die schrittweise Gründung eines Weltgemeinwesens. Da es sich um einen allmählichen Prozess handelt, ist aus heutiger Sicht schwer vorherzusagen, wie dieses globale Gemeinwesen aussehen wird. Man stelle sich vor, jemand wollte 1820 – lange vor der Einheit Deutschlands in einem nationalen Gemeinwesen – genau beschreiben, wie die politische Ordnung der Bundesrepublik aussehen werde. Entsprechend muss man sich bei der Beschäftigung mit den einschlägigen Texten (Shoghi Effendi: Die Weltordnung Baha’u’llahs, S. 296ff.) klar machen, dass es sich um die Darstellung von Visionen handelt, „soweit wir es uns vorstellen können“.
Auf kultureller Ebene bedeutet es die Einführung einer Welthilfssprache sowie einer Weltschrift, die zur Entstehung einer Weltliteratur führen werden. Diese Welthilfssprache, die neben der Muttersprache gelehrt werden wird, wird entweder neu geschaffen oder aus den bestehenden Sprachen ausgewählt werden. Auf ökonomischer Ebene läuft die Entwicklung auf die Schaffung eines Weltwährungssystems, die Beseitigung aller Handelshemmnisse und die Abschaffung nationaler Monopole auf Rohstoffe (z.B. Öl, Gas, Erze) hinaus. Politisch bedeutet diese Entwicklung das Zusammenwachsen der Menschheit in einer politischen Struktur, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung aufgebaut ist. Meinungs-, Presse- und Gewissensfreiheit werden in diesem System gewährleistet sein.
Die Bildung internationaler und globaler politischer Strukturen und Institutionen (EU, Vereinte Nationen, Welthandelsorganisation etc.) sind erste Schritte in diesem Prozess, wobei diese im Sinne der Baha’i-Vision noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen, da sie die Belange all ihrer Mitglieder gleichermaßen gerecht berücksichtigen müssen, um sie alle zu integrieren.
Manche Autoren projizieren negative Erfahrungen mit dem religiösen und politischen Totalitarismus in diese Vision hinein und verwenden für sie plakative Begriffe wie „Welteinheit“ oder „theokratischer Gottesstaat“. Wegen der o.g. Presse- und Meinungsfreiheit und der Flexibilität dieses Gemeinwesens, wie es die Baha’i-Visionen skizzieren, ist dieses System nicht totalitär. Auch legen die Visionen nicht nahe, dass in diesem Gemeinwesen Religion und staatliche Herrschaft eine Einheit bilden, so dass der Begriff der Theokratie ebenfalls nicht zutrifft.