Bahai


CC-BY  Dr. Babak Farrokhzad Nachschlagen

von arab./pers. »Baha«: Licht, Glanz, Herrlichkeit
jüngste Offenbarungsreligion mit heute weltweiter Verbreitung, entstanden in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Iran, Irak, Türkei und Israel, gestiftet von Baha’u’llah (siehe Baha Allah)

Die Baha’i-Religion nahm ihren Anfang im Jahre 1844 in Schiraz, Persien, wo sich der junge Siyyid ‘Alí Muhammad (geb. 1819), genannt Bab, als Vorläufer und Verkünder eines neuen Zeitalters offenbarte. Er verkündete seine Sendung als Ankündigung und Wegbereitung für das Kommen „dessen, den Gott offenbaren wird“, des Verheißenen aller Religionen. Die rasch anwachsende Babi-Gemeinde wurde unerbittlich verfolgt, der Bab im Juli 1850 hingerichtet.

Zu den prominentesten Anhängern des Bab gehörte Baha’u’llah, der 1817 in Teheran (heute Iran) geboren wurde. Im Jahre 1863, 19 Jahre nach der Sendung des Bab, verkündete er, der Gottesoffenbarer für die heutige Zeit und der vom Bab angekündigte Verheißene aller früheren Religionen zu sein. Wegen seiner stetig wachsenden Anhängerschaft wurde auch er verfolgt und zunächst nach Bagdad (heute Irak), später nach Konstantinopel und Adrianopel (heute Türkei) und schließlich in die damals berüchtigte Gefängnisstadt Akko (heute Israel) weiterverbannt. Er starb im Jahre 1892 nahe Akko.

Baha’u’llah bestimmte testamentarisch seinen Sohn ‘Abdu’l-Baha (1844-1921) zu seinem rechtmäßigen Nachfolger und bevollmächtigten Interpreten seiner Schrift. Die Baha’i sehen in ‘Abdu’l-Baha das vollkommene Vorbild des wahren Baha’i-Lebens.

Abdu’l-Baha wiederum bestimmte in seinem Testament seinen Enkel Shoghi Effendi (1897-1957) zum Hüter der Sache Gottes und Interpreten der Baha’i-Schrift. Ihm gelang es, den Aufbau der von Baha’u’llah festgelegten Gemeinde voranzutreiben. Shoghi Effendi verschied überraschend im Jahre 1957 auf einer Reise in London, ohne ein Testament oder einen Nachfolger zu hinterlassen. Heute wird die Baha’i-Welt-Gemeinde vom Universalen Haus der Gerechtigkeit geführt. Mit Sitz in Haifa, im heutigen Israel, stellt es die höchste administrative Institution des Baha’i-Glaubens dar. Seine Errichtung war von Baha’u’llah vorgesehen und wurde schon von Abdu’l-Baha in die Wege geleitet.

Nach der Lehre Baha’u’llahs gibt es eine Universalreligion, die gemäß dem Heilsplan Gottes zu bestimmten Zeitpunkten offenbart wird. Aus diesem Grunde teilen alle Religionen denselben Kern, was sich u.a. in der großen Ähnlichkeit ethischer Lehren ausdrückt. Zum Beispiel findet sich die goldene Regel („Was Du nicht willst, dass man dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu“) in allen Religionen. Unterschiede in den Religionen sind auf die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Gesellschaften zum Zeitpunkt und am Ort der Offenbarung zurückzuführen. So betonte Christus die Bedeutung der (Nächsten-)Liebe gegenüber dem Religionsgesetz (Mt 22,34-40), um Vorstellungen der Pharisäer zurecht zu rücken, die sich zu sehr auf die buchstabengetreue Erfüllung des jüdischen Gesetzes und weniger auf den Geist, der dem Gesetz der Religion zugrunde liegt, konzentrierten.

Gottesoffenbarer wie Moses, Muhammad oder Buddha sind die vollkommenen Spiegel der Attribute Gottes, die nach und nach die (Universal-)Religion Gottes offenbaren. Baha’u’llah verkündet neben den ewigen Grundwahrheiten göttliche Lehren, die den Umständen und Erfordernissen der heutigen Zeit Rechnung tragen. Die fortschreitende Offenbarung und göttliche Führung wird niemals enden, auf Baha’u’llah werden weitere Offenbarer folgen.

Da die Menschheit heute durch den technischen Fortschritt zusammenwächst und in ein Zeitalter der Mündigkeit und Reife eintritt, steht die Einheit der Religionen und der Menschheit im Mittelpunkt der Lehre Baha’u’llahs. So wie Gott nur Einer ist, so bilden auch alle Religionen und das gesamte Menschengeschlecht eine Einheit. Aus der Einheit Gottes folgen die Einheit der Religionen und die Einheit der Menschheit. Weitere Prinzipien der Baha’i-Religion, die diesem „Erwachsenwerden“ der Menschheit Rechnung tragen, sind: Einheit von Religion und Wissenschaft, Einführung einer Welthilfssprache, Verbot von Sklaverei, die selbständige Suche nach Wahrheit, usw.. Gleichzeitig bestätigt Baha’u’llah zahlreiche Lehren anderer Religionen, die den gemeinsamen Kern betreffen, z.B. die Liebe zu Gott als Motiv für die Erfüllung göttlicher Gebote („Wandle in meinen Geboten aus Liebe zu mir“, siehe oben).

Baha’u’llahs schriftliches Vermächtnis ist mit mehr als 100 Werken sehr umfangreich. Darunter gilt der Kitáb-i-Aqdas (Das Heiligste Buch) als sein wichtigstes Werk. Es enthält zentrale Elemente der Baha’i-Lehre, die Grundlagen der Weltordnung Baha’u’llahs sowie die obersten Normen des Baha’i-Rechts, der Sittlichkeit und des Kults. Auch die Grundstrukturen der Gemeinde und Institutionen sind darin festgelegt. Ein weiteres zentrales Werk Baha’u’llahs ist der Kitab-i-Iqan (Das Buch der Gewissheit), worin er die Einheit der Religionen und die ewig fortschreitende Gottesoffenbarung behandelt. Die Schriften ‘Abdu’l-Bahas und Shoghi Effendis gehören zum Kanon der autoritativen Texte, werden aber vom Wort Gottes, d. h. der Schrift des Bab und Baha’u’llahs unterschieden.

Die Baha’i kennen keine Geistlichkeit. Zu ihren Pflichten gegenüber Gott und Baha’u’llah gehört es, täglich zu beten und 19 Tage im Jahr zu fasten (jeweils vom 2. bis 20. März), indem sie sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang von Speise und Trank enthalten. Sie meiden Narkotika, Alkohol und alle Substanzen, die den Verstand beeinflussen und leben in Einehe. Sie sollten am Neunzehntagefest, am ersten Tag eines jeden Monats des Baha’i-Kalenders, teilnehmen. Das Neunzehntagefest, ursprünglich vom Bab eingesetzt, versammelt alle Baha’i eines Ortes zu Gebet, Beratung der Gemeindeaktivitäten und geselligem Beisammensein.

Die Baha?i-Religion ist eine vom Islam unabhängige Religion, ähnlich wie das Christentum, das vor jüdischem Hintergrund entstanden, aber eine eigenständige Religion ist. Die moderne Religionswissenschaft bestätigt diese Sicht ebenso, wie das Bundesverfassungsgericht, das im Jahr 1991 den Charakter des Baha’i-Glaubens als Religion und der Baha’i Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft nach aktueller Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und allgemeinem, wie auch religionswissenschaftlichem Verständnis festgestellt hat.

Weltweit zählt das Baha’itum etwa 7 Millionen Anhänger. Zu den zahlenmäßig starken Gemeinden zählen Indien (1 Mio), Bangladesh (300000), USA (150000). In Europa beläuft sich die Zahl auf einige Zehntausend, in Deutschland auf 5000. Iranische Baha’i machen heute weniger als 7% der Gläubigen weltweit aus.