Nazaräerevangelium


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Beim Nazarene Codex handelt es sich um eine apokryphe Schrift des Matthäusevangeliums, das sogenannte Nazaräerevangelium. Der Text ist in vielen Passagen mit dem kanonischen Matthäusevangelium identisch, ist uns aber nur in Bruchstücken als aramäischer und griechischer Text überliefert. In der Literatur taucht es zuerst um etwa 100 nach Christus in Antiochia, der Hauptsstadt Syriens auf. In der neueren Forschung wird vermutet, dass es zeitgleich mit dem Matthäusevangelium des Neuen Testamentes entstanden ist. Einige Forscher meinen, es wäre ein epigonenhaftes Werk. Sicher scheint es zu sein, daß das Nazaräerevangelium ursprünglich im judenchristlichen Kontext geschrieben worden ist. Der philologische Befund der uns heute vorliegenden Textbruchstücke scheint jedenfalls dafür zu sprechen.
Wie der Zusammenhang zwischen dem kanonischen neutestamentlichen Matthäusevangelium und dem Nazaräerevangelium wirklich gewesen ist, kann heute nicht mehr mit Sicherheit festgestellt werden. Wir wissen nur, dass der wahrscheinlich ursprünglich in griechischer Sprache vorliegende Text um 180 nach Christus ins Aramäische übersetzt worden ist. Da 135 n.Chr. Jerusalem von den Römern zerstört worden war und da in der Folge dieser Zerstörung die Judenchristen nicht mehr in Jerusalem wohnen durften, zogen sich diese in andere Städte zurück. Diese Judenchristen bewahrten sich ihre Identität, indem sie an der aramäischen Sprache festhielten.
Ende des vierten nachchristlichen Jahrhunderts gerieten Theologen (z.B. Epiphanias um 392), die aus einer judenchristlichen Tradition kamen, in den Strudel der Auseinandersetzung zwischen frühkatholischer Kirche und der Gnosis. Das war die Zeit, in der die Bekenntnisse fixiert wurden, in der aber auch per Synodalbeschluss festgelegt wurde, welche Schriften nun als »kanonisch« (als legitimierte christliche Quellen) angesehen und tradiert werden sollten. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen kam das Matthäusevangelium ins Neue Testament, das Nazaräerevangelium nicht. Diese Texte wurden aber auch weiterhin tradiert und wurden zu den sogenannten »Apokryphen. Für die Forschung sind diese Apokryphen eine wichtige Quelle für die Erforschung der Entstehung des Neuen Testamentes.

Im 19. Jahrhundert hat die Theosophin Helene Blavatsky sich auf die apokryphen Schriften bezogen. Sie vertrat die Meinung, dass nur dort der wahre christliche Geist tradiert worden sei, die kanonischen Schriften seien durch die Kirche für äußerliche Zwecke verfremdet und instrumentalisiert worden. Da die Theosophie wieder an die gnostischen Traditionen der neutestamentlichen Zeit anknüpfen wollte, bezog man sich natürlich auf diese Texte.

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