Überlieferung (Hinduismus)


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Als historisch gewachsene Religion, die sich auf keinen Stifter und keine allgemein gültige Glaubenslehre beruft, kennt der Hinduismus auch keine allgemein verbindliche Dogmatik. Die Hindus besitzen somit keine allen Anhängern gemeinsame Glaubensquelle in der Art der christlichen Bibel, der Torah oder des Qur’ân. Die einzelnen Systeme haben allerdings sehr wohl fest umrissene Glaubenslehren entwickelt, die auch in der Literatur ihren Niederschlag gefunden haben. Sie sind Richtschnur jedoch nur für eine bestimmte religiöse oder philosophische Richtung, niemals aber für alle Hindus.

Das Literaturschaffen der Hindus ist ausgesprochen umfangreich. Die Verfasser der heiligen Texte sind vielfach aber unbekannt. Dazu kommt, dass zahlreiche Werke, deren Niederschrift sich oft über Jahrhunderte erstreckte, von mehreren Verfassern redigiert wurden. Alle heiligen Schriften sind in Sanskrit, der Sakral- und Gelehrtensprache Altindiens verfasst. Die Hindus betrachten Sanskrit als die Sprache der Götter und die Ursprache der Menschheit.

Die indische Sakralliteratur gliedert sich in verschiedene Kategorien, denen jeweils eine spezifische Wertung zukommt. Unterschieden wird vor allem zwischen Werken, die als eigentliche »göttliche Offenbarung« (shruti) höchste Autorität beanspruchen und solchen, die auf »Überlieferungen« (smrti) beruhen. Als verbindlich gelten Letztere allerdings auch nur insoweit, als sie sich auf sie begründende »Offenbarungen« berufen können.

Als heilige Offenbarung (shruti) gilt der Veda, das »heilige Wissen«. Er stellt eine gewaltige Textsammlung dar (man spricht deshalb gewöhnlich in der Mehrzahl von den Veden), deren Entstehung in die Zeit von 1500 v.Chr. bis 1500 n. Chr. zu datieren ist. Die Hauptmasse der Veda-Literatur war um die Zeitwende hingegen bereits abgeschlossen. Der Veda besteht aus vier Sammlungen (samhitâ): dem Rgveda, dem Sâmaveda, dem Yayurveda und dem Atharvaveda. Die Sammlungen beinhalten Hymnen, Gesänge und Sprüche für den Vollzug der sakralen Handlungen. Der Veda-Literatur zugeordnet sind die Brâhmana (»Opfertexte«) und die Upanishaden (»vertrauliche Sitzungen«).

Die heiligen Überlieferungen (smrti) bestehen aus S?tras (»Leitfäden«) und Shâstras (Lehrbücher) der verschiedenen Sekten und philosophischen Systeme. Sie stehen als Ergänzungen und Ausführungen zu den heiligen Texten. Den »Überlieferungen« angefügt sind auch die beiden großen Epen Mahâbhârata (dessen bedeutendster Teil die bekannte Bhagavadgîtâ [»Gesang des Erhabenen«] darstellt) und das Râmâyana.

In der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts kamen noch weitere Texte hinzu, von denen vor allem die Âgama (»Quellen der Lehre«) und Tantra (»Gewebe«, »Zusammenhang«, »Kontinuum«) große Bedeutung erlangten.