Das Johannesevangelium unterscheidet sich in Stoff, Aufbau und Sprache so charakteristisch von den drei anderen Evangelien (siehe Synoptische Evangelien), dass ihm eine Sonderstellung eingeräumt werden muss. Zweifellos stammt es nicht nur aus späterer Zeit als jene, sondern vor allem wahrscheinlich aus einer ganz eigenen, in sich geschlossenen Gemeinde, die eine Sprache und einen Denkstil entwickelt hat, wie sie sonst im ganzen NT nur in den Johannesbriefen zu finden sind.
Der Verfasser hat aus einer reichlichen Überlieferung von Wundern und Sprüchen Jesu die Stoffe seines Evangeliums ausgewählt (vgl. Joh 20,30). Die Anlage und Gliederung ist klar zu durchschauen. Der Grundgedanke ist: Jesus, der ewige Gottessohn (siehe Sohn Gottes), ist vom Vater in die irdische Menschenwelt hinabgesandt worden und durch seinen Tod hindurch zu seinem himmlischen Vater wieder zurückgekehrt (Joh 16,28, vgl Phil 2,5-11). Sein Kommen hatte zum Ziel, die Auserwählten Gottes im Glauben an ihn zu sammeln; seine Rückkehr in den Himmel, sie mit Gott zu vereinen.
Demnach hat das Buch zwei Hauptteile: der erste (Kap 1-12) beschreibt, wie Jesus sich als der von Gott gesandte Sohn offenbart und dadurch bewirkt, dass sich die Glaubenden und die Ungläubigen voneinander scheiden; der zweite (Kap. 13-20) setzt diese Scheidung als vollzogen voraus und zeigt, wie Jesus seinen Jüngerkreis auf seine Rückkehr zum Vater als Vollendung ihres Heils vorbereitete und dann unangefochten als der göttliche Sieger durch seine Leidensgeschichte hindurch schreitet und sich darauf den Seinen als Auferstandener zeigt. Den zweiten Teil beherrscht das entsprechend kunstvoll gestaltete Gebet Jesu um die Vollendung seiner Sendung (Joh 17,1-26).
Da die Ordnung des Textes undurchsichtig ist, stritten sich die Wissenschaftler um den möglichen ursprünglichen Aufbau des Evangeliums. Genauso wenig weiß man über den Verfasser, am wahrscheinlichsten handelt es sich um einen angesehenen Christen in Ephesus mit Namen Johannes (vgl den »Alten« Johannes als Absender der Johannesbriefe). Ähnlich ungenau ist auch die Bestimmung des Alters, es muss jünger als die drei anderen Evangelien sein wegen eines gefundenen Fetzens von Papyrus-Handschriften (siehe Papyrus Egerton), man vermutet die Jahrhundertwende n.Chr. als Abfassungszeit.