Buch und Gesetz (Islam)


CC-BY  Francesco Ficicchia Nachschlagen

Ist im Christentum nicht die Bibel, sondern die Person des in die Welt gekommenen Jesus von Nazaret, der als Gottes Sohn durch seinen Kreuzestod und seine Auferstehung die Menschen aus Schuld und Sünde befreite, der zentrale Bezugspunkt der christlichen Botschaft, so ist es im Islam nicht die Person des Propheten Muhammad (siehe Mohammed), sondern das von Gott offenbarte Wort, das im Zentrum der Lehre steht.

»Offenbarung« bedeutet im Islam aber nicht Erlösungsmysterium wie im Christentum, sondern in erster Linie Anweisung zum rechten Tun, wobei Buch und Gesetz im Vordergrund stehen.

Die Muhammad durch Vermittlung des Engels Gabriel (Jabrâ’îl) zuteil gewordenen Offenbarungen Gottes sind enthalten im Qur’ân (siehe Koran), dem heiligen Buch der Muslime (siehe Muslim). Dieses Buch ist die einzig zuverlässige Glaubensquelle, da es im Unterschied zu allen anderen Überlieferungen das authentische Wort Gottes enthält. Es ist überirdischen Ursprungs und bestand schon vor seiner Offenbarung als göttliche Urschrift (umm al-kitâb), als eine im Himmel aufgezeichnete »wohlverwahrte Tafel« (lawh-i mahf?z). Die Offenbarung ist hier also kein lebendiges Ereignis zwischen Gott und Mensch, kein Geschehen, in das Gott selbst eingeht und Mensch wird, sondern sie ist ein Buch. Hierin zeigt sich der wohl deutlichste Unterschied zum Christentum. Jesus hat den Seinen kein geschriebenes Wort hinterlassen. Der Islam dagegen ist siehe Buchreligion vom ersten Augenblick an. Gott steigt nicht vom Himmel herab und wird Mensch; er gibt ihnen ein Buch. Die Offenbarung vollzieht sich im Islam nicht als Inkarnation (Fleischwerdung), sondern als Inlibration, als Buchwerdung.

Mit dem Qur’ân hat Gott sein Offenbarungswerk abgeschlossen. Anerkennt der Islam die biblischen Propheten (Abraham, Moses, Jesus usw.) zwar an, so bildet Muhammad doch deren letztes Glied. Er ist das »Siegel der Propheten« (khâtam an-anbîyâ’), die Beendigung und Krönung göttlicher Willenskundgebung. Nach ihm kann es deshalb keine neue Religionsschöpfung mehr geben und ist der Islam der Abschluss der Religionsgeschichte.

Der Islam ist eine Religion des Gesetzes und des Rituals – eine Religion der Observanz (Gehorsam = fard), in deren Mittelpunkt das von Gott begründete und aus dem Qur’ân abgeleitete Gesetz (sharî’a; siehe Scharia) steht. Infolgedessen steht vor allem die Pflichtenlehre im Vordergrund. »Glaube« bedeutet hier Hingabe und Unterwerfung unter das göttliche Gesetz. Dem Islam ist die Weise des reumütigen und bußfertigen Menschen im christlichen Sinne, der den Weg der inneren Umkehr geht, fremd.

Der Islam ist darauf angelegt, Mensch und Welt integral zu erfassen. Er kennt deshalb keine Scheidung zwischen Weltlichem (Profanen) und Geistlichem (Sakralen). Er ist eine Religion der Öffentlichkeit, nicht der Innerlichkeit, denn wegweisend ist die Orthopraxis, das Rechte Tun. Dieses »rechte Tun« ist in der sharî’a, dem religiösen Gesetz, festgelegt.

siehe Offenbarungsreligionen, siehe Offenbarung (Islam), siehe Überlieferung (Islam), siehe Grundpflichten des Islam, siehe Gerechtigkeit (Islam), siehe Glaube (Islam)